‚Erzählt es euren Kindern‘ - Eine Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz und Krakau 2024
Flora Cimpeanu (Q2), 12. März 2024
Auf der 14-stündigen Busfahrt von Köln nach Oświęcim hat sich jeder unserer Studiengruppe seine Gedanken über die bevorstehenden Eindrücke und Erlebnisse dieser Gedenkstättenfahrt gemacht. Während wir an verschiedenen Städten und Dörfern vorbeifuhren, dann langsam auch die letzten von uns wach wurden, bekamen wir immer wieder einen ersten Einblick in das, was uns die nächsten Tage erwarten wird. Viele von uns dachten wahrscheinlich darüber nach, dass uns diese Fahrt wohl noch lange beschäftigen wird.
Die letzten Monate haben wir uns regelmäßig als Gruppe getroffen, um uns mit den Hintergründen der bevorstehenden Fahrt vertraut zu machen und wichtige Inhalte zu verstehen. Man sollte sich sicherlich im Vorfeld mit den wichtigsten Fakten zur Shoah auseinandersetzen und sich auf diese Weise auf diesen grausamen Ort Auschwitz vorbereiten, aber auf emotionaler Ebene funktioniert das einfach nicht so, wie man sich das zuvor vorgestellt hat. Und so machten wir alle uns trotz dieser Vorbereitung Gedanken im Bus darüber, was auf uns zukommen wird und ob wir es schaffen werden, damit umzugehen.
Als wir nach der langen Busfahrt in unserer Unterkunft, dem „Zentrum für Dialog und Gebet“ in Oświęcim ankamen, waren wir mit unseren Gedanken ganz woanders als in einem Konferenzhotel oder etwa in unseren Betten. Ich glaube dadurch, dass wir auf dem Weg zu dieser Unterkunft schon am Stammlager Auschwitz I vorbeigefahren sind, sind unsere Gedanken seitdem in diesem Ort gefangen.
Unser erster Tag vor Ort startete um 7:45 Uhr morgens mit einem gemeinsamen Frühstück in der komfortablen Unterkunft. Anschließend machten wir uns mit unserem Busfahrer Andreas Hilgermann, der uns die ganzen acht Tage begleiten sollte, auf den Weg in das Stammlager Auschwitz I und bekamen durch zwei sehr kompetente Guides einen tieferen Einblick in die Vorgänge des Stammlagers von Auschwitz, als wir es jemals davor durch eine rein inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Ort und diesen Menschen in der Vorbereitung bekommen hatten.
Mit der Stimme unserer Guides im Ohr traten wir durch das Haupttor mit der uns bekannten Aufschrift „Arbeit macht frei“ in das große Gelände des Stammlagers. Vorbei an vielen Baracken, entlang der durchgehenden Stacheldrahtzäune, erfuhren wir die verschiedensten Geschichten und Bedeutungen der unterschiedlichen Gebäude und Bereiche. Besonders im Kopf geblieben ist mir der Nachbau der Todeswand, die auch "Schwarze Wand" genannt wurde. Der berüchtigte Hof zwischen dem Krankenblock 10 und dem Todesblock 11 war mit Blumen geschmückt und er war für mich ein besonderer Gedenkort, an dem ich mir über all die zuvor berichteten Grausamkeiten Gedanken machen konnte.
Gerade dieser Block 11 mit den extrem engen Todeszellen und auch die Gaskammer, die wir am Schluss der vierstündigen Tour durchschritten haben, sind mir besonders in Erinnerung geblieben. Die Gaskammer mit dem dazugehörenden Krematorium im Stammlager ist im Vergleich zu denen im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau schon unauffällig und klein.
Nach diesen Erlebnissen des Vormittags fuhren wir gegen 14:30 Uhr zu der Synagoge in dem Jüdischen Zentrum von Oświęcim und schauten uns dort die Ausstellung „Das jüdische Leben in Oświęcim" an. Hier erfuhren wir sehr viel über das Leben der Jüdischen Bevölkerung von Oświęcim. In den 1930er Jahren waren mehr als die Hälfte der Bevölkerung Juden. Über 400 Jahre prägten das jüdische Leben, die jüdische Kultur und zahlreiche Synagogen das Stadtbild.
Als wir uns am darauffolgenden Tag einem nächsten Teil der Geschichte der Shoah widmen, trifft es die meisten von uns emotional noch mehr. Dass das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau so enorm groß ist, damit hätte niemand von uns gerechnet. Wir laufen alle gemeinsam den Weg von der ehemaligen „Alten Judenrampe“ bis hin zu dem bekannten Eingangstor von Birkenau. Das Gelände des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers scheint fast kein Ende zu haben. Wir schauen uns um und warten darauf, dass dieselben Guides wie schon an dem Tag zuvor uns durch die tragische Geschichte vieler Menschen führen. Es gehen einem so viele Gedanken durch den Kopf, die man gar nicht alle bündeln kann. Da wir zwei Tage zur Besichtigung Auschwitz- Birkenaus hatten, verbrachten wir den ersten Vormittag damit, uns dem Frauenlager, dem "Theresienstädter Familienlager", dem sogenannten "Kanada" und den Krematorien zu widmen.
Am Nachmittag erlebten wir dann den für mich beeindruckendsten Programmpunkt der Woche. Wir besichtigten die Krypta des Franziskanerklosters in Harmeze, in der die Werke des Künstlers Marian Kolodziej arrangiert wurden. Das Besondere an dieser Ausstellung ist, dass der Künstler selbst ehemaliger Häftling in Auschwitz war und dem Tod nur knapp und mit viel Glück entkommen konnte. In seinen Werken sieht man, wie er Geschichten erzählt, die er damals miterlebt hat und ganz besonders wird seine Sichtweise auf die Veränderung der Häftlinge zu einer anonymen Masse um ihn herum ausgedrückt.
Am vierten Tag machten wir uns nach dem gemeinsamen Frühstück zuerst auf den Weg zu einem Workshop in dem "Internationalem Bildungszentrum für Auschwitz und den Holocaust des Staatlichen Museums Auschwitz". Bei diesem Workshop änderten wir für diese Zeit die Sichtweise und beschäftigten uns mit den Tätern von Auschwitz, also genauer gesagt mit der SS-Besatzung des KZ- Auschwitz. Wir machten uns bewusst, wie die Bedingungen für sie waren und welche Chancen diese Position einigen eröffnete.
m Anschluss daran und nach einer individuellen Mittagspause fuhren wir mit dem Bus wieder nach Auschwitz- Birkenau und hielten an diesem Nachmittag eine gemeinsame Gedenkveranstaltung ab. Diese widmete sich besonders den ermordeten Sinti und Roma. Wir haben uns hier mit der Geschichte der Sintiza Philomena Franz im Lager Auschwitz Birkenau auseinandergesetzt und dabei Texte von ihr gelesen. Zudem beschäftigten wir uns auch mit den Häftlingen des Sonderkommandos in dem Block 13, und hierbei besonders mit Shlomo Venezia, dessen Geschichte uns alle sehr nahe ging.
Es tat gut, abends mit allen zusammenzusitzen, den Tag Revue passieren zu lassen und zu hören, wie die anderen den Tag aufgefasst und was sie für sich mitgenommen haben. Obwohl wir alle am Ende des Tages sehr müde und erschöpft waren, wussten wir, dass wir diesen Austausch brauchen und dass es wichtig ist, wenn wir die Gefühle der anderen wahrnehmen können. Die Gedanken und Fragen über diesen entmenschlichenden Ort in Oświęcim begleiten uns bis auf unsere Zimmer, und auch jetzt noch mit nach Köln.
Auch die Zeit in Krakau, also die drei Tage im Anschluss, haben uns geholfen, uns wieder emotional zu stabilisieren. Herr Grümme hat nicht zu viel versprochen von seiner Lieblingsstadt, die uns alle an irgendwas Vertrautes erinnerte. Wir hatten das Gefühl abschalten zu können, obwohl die Erfahrungen, die wir die Tage zuvor gesammelt haben, uns weiterhin begleiteten.
Wir schauten uns viele kleine Läden an, sahen die vielen alten schönen Fassaden, die von damals noch genauso erhalten sind. Wir wurden von der unglaublich tollen Stadtführerin Margareta Kieres zum einen durch das ehemalige jüdische Ghetto und am nächsten Tag durch das alte jüdische Viertel Kazimierz in Krakau geführt. Plötzlich bildete sich für uns ein zusammenhängendes Bild. Wir erfuhren, wie die Juden damals in Polen und besonders in Krakau gelebt haben und wie einige versuchten zu fliehen, weil ihnen irgendwann bewusst wurde, dass ein Ghetto und das Festhalten und Sammeln aller Juden an einem Ort für sie nichts Gutes heißen konnte. Dadurch kam für uns so viel mehr Leben in die Anonymität der Opfer der Jahre 1940 bis 1945. Wir durften etwas über die Geschichte von Krakau erfahren, aber vor allem über die der Menschen dieser Stadt.
Neben diesen Führungen, bei denen wir übrigens auch erfuhren, dass viele Szenen des bekannten Filmes „Schindlers Liste“ in Krakau spielten, hatten wir einen Besuch im JCC (Jewish Community Center) und sprachen dort mit zwei jungen Männern über das Leben der Juden in Krakau heute und auch über die Bedeutung des JCC für diese als Rückzugsort, aber auch als Ort des freien Austauschs und der Kommunikation.
Zudem hatten wir die Möglichkeit, im "Galicia Jewish Museum" ein Zeitzeugengespräch mit der Holocaustüberlebenden Monika Goldwasser zu erleben, welches für uns alle sehr informativ und emotional war. Auch die Abende in den verschiedensten Restaurants dieser beeindruckenden Stadt Krakau taten uns sehr gut, denn so konnten wir für einen Moment die Anspannung brechen und den Tag gemeinsam abrunden.
Am Samstag morgen traten wir früh morgens alle gemeinsam wieder den Rückweg an. Die Stimmung während der gesamten Rückfahrt war so anders als auf der Hinfahrt. Uns allen fiel es erstmal schwer, all das in Worte zu fassen und überhaupt zu realisieren, was wir die letzten sieben Tage in Polen erfahren und auch erlebt haben. Wir sind uns alle einig, dass es die richtige Entscheidung war, diese Fahrt anzutreten und uns unserer Vergangenheit zu stellen.
Jetzt, ein paar Wochen nach dieser Fahrt, mache ich mir immer noch regelmäßig Gedanken über meine Erlebnisse, die ich auf der Gedenkstättenfahrt gemacht habe. Obwohl diese meist negativ geprägt waren, schaue ich positiv auf die ganze Fahrt zurück und ich weiß, dass ich es alleine, ohne diesen täglichen Austausch mit allen und ohne den nächtlichen Gedanken-Austausch mit meinen Zimmergenossinnen, wahrscheinlich nicht ausgehalten hätte. Alle besuchten Orte und ganz besonders Auschwitz I und II haben noch immer einen ganz besonderen Einfluss und eine ganz besondere Wirkung auf mich.
Sich dessen bewusst zu sein, was damals im heutigen Oświęcim passiert ist, genügt nicht. Wir mussten den Ort "Auschwitz" erleben, um es auch nur ansatzweise verstehen zu können. Wir mussten es fühlen, um es in Zukunft zu verhindern. Und es darf nie in Vergessenheit geraten und daher:
Erzählt es euren Kindern.
An dieser Stelle geht mein besonderer Dank an Herrn Grümme, der diese Fahrt für uns organisiert und uns durchgängig engagiert begleitet hat. Zudem bedanke ich mich bei Frau Posselt, Herrn Magdeburg und dem Bezirksbürgermeister der Innenstadt von Köln, Andreas Hupke, die uns auf dieser Fahrt ebenfalls begleitet haben und ein Teil unserer Gruppe waren.