Die Holocaust-Überlebenden Eva Szepesi erzählt aus ihrem Leben während des 100. Erzählcafés in Köln.
Am 27. September 2018 feierte das Kölner Erzählcafé, eine Initiative des „Bundesverbandes für Information & Beratung für NS-Verfolgte“ sein 100. Jubiläum. 28 Schülerinnen und Schüler der Oberstufe des Hansa-Gymnasiums durften in Begleitung von Herrn Grümme und Herrn Menge an den bewegenden Erzählungen der Holocaust-Überlebenden Eva Szepesi teilhaben.
Das Erzählcafé ermöglichte bereits tausenden jungen Leuten durch den direkten Kontakt zu den Zeitzeugen, die Härte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anhand von persönlichen Einzelschicksalen zu erfahren. Nach den Worten des Geschäftsführers des Verbands, Dr. Jost Rebentisch, sei die Begegnung mit Zeitzeugen des Holocausts die beste Prävention gegen Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Besonders wach und aufmerksam müsse man sich auch heute gegenüber denjenigen verhalten, die Sündenböcke präsentieren und Hetze in der Gesellschaft verbreiten. Freiheit und Demokratie seien kein Geschenk - man müsse hart für sie arbeiten und dürfe sie nicht als selbstverständlich ansehen. „Der Rechtspopulismus von heute kann schnell das autoritäre Regime von morgen werden.“
Es sollte 50 Jahre dauern, bis Eva Szepesi über das sprechen konnte, was sie in Auschwitz erlebt hat. Erstmals im Januar 1995 bei einer Gedenkveranstaltung anlässlich der 50-jährigen Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, zu der ihre Töchter sie genötigt hatten zu gehen, konnte sie sich ihrer Vergangenheit stellen und das erste Mal über ihre Erinnerungen an ihre Zeit in Auschwitz reden, „und dann hatte sich etwas in mir verändert und es sprudelte nur so aus mir heraus.“. Inzwischen engagiert sie sich als Zeitzeugin unermüdlich gegen das Vergessen.
Geboren wurde Eva Szepesi 1932 in Budapest, wo sie eine unbeschwerte Kindheit verbrachte. Doch bereits mit sechs oder sieben Jahren begannen ihre Freunde sie infolge der NS-Rassegesetze zu beschimpfen: „Alle meine Freunde spielten eines Nachmittags an der Wasserpumpe vor unserem Haus. Als ich zu ihnen gehen wollte, merkte ich, dass sie ein Stück blutiges Fleisch unter das Wasser hielten und sie riefen mir zu: Was guckst du so rüber, Saujüdin? Bald wird das Blut deines Vaters auch so fließen.“
Nach der deutschen Besetzung Ungarns am 19.03.1944 floh Frau Szepesi mit ihrer Tante in die Slowakei und lebte dort unter falscher Identität bei vier verschiedenen Familien, immer auf das Nachkommen ihrer Familie wartend: „Meine Mutter hatte mir versprochen nachzukommen. Ich habe immer gewartet. Aber sie hatte nicht mehr die Möglichkeit.“
Am 03. November 1944 wurde sie mit gerade einmal 12 Jahren an den Ort deportiert, der für den Millionenfachen Mord an Juden und anderen Verfolgten steht und bis heute an die Verfolgung, Unterdrückung und Unmenschlichkeit des Dritten Reichs erinnert: Nach Auschwitz-Birkenau. Sie hatte dabei unfassbares Glück, weil ihr Zug einer der allerletzten war, der nicht auf direktem Weg zu den Gaskammern fuhr, sondern die Gleisarbeiten erst eine Woche nach dem 03.11. beendet waren, und Frau Szepesis Zug noch an der „Alten Judenrampe“ hielt. Ihre Ankunft dort beschrieb sie als ein unglaublich schreckliches Gefühl, es war spät in der Dämmerung und die vielen SS Leute empfingen die Häftlinge bereits mit Peitschen und großen, angsteinflößenden Hunden. In mitten all dieses Elends hatte sie aber noch einmal Glück, auch wenn ihr das damals nicht so erschienen war. Eine Aufseherin machte ihr unmissverständlich klar, sie sei 16 und sie dürfe sich auf gar keinen Fall jünger stellen! Frau Szepesi gehorchte und wurde als Arbeiterin vermerkt, anstatt sofort vergast zu werden, was bei Mädchen in ihrem Alter üblich war.
Als die Nationalsozialsten im Januar 1945 bemerkten, dass der Krieg so gut wie verloren war und die Alliierten auf den Weg zu den Konzentrationslagern waren, schickten sie die restlichen Lagerinsassen auf ,,Todesmärsche‘‘, auf denen noch einmal Großteile der völlig kraftlosen und nur noch äußerlich anwesenden Opfer qualvoll unter ihrer Schwäche und den Maßnahmen der SS-Soldaten starben. Die 12-jährige war zu diesem Zeitpunkt todkrank und die Nationalsozialisten dachten sie bereits verstorben und ließen sie zwischen den Bergen aus Toten liegen. Das erste, an das sie sich erinnern kann, ist, wie sie die Augen öffnete, weil ein Roter-Armee-Soldat sie mit einem Lächeln im Gesicht weckte und sie das erste Anzeichen menschlicher Wärme und einen winzigen Funken Hoffnung seit langem darin finden konnte. Eva Szepesi war eines der 400 Kinder, die am 27.01.1945 von der Roten Armee aus dem Vernichtungslager gerettet werden konnten.
Danach begann für sie ein Leben wie vor dem NS-Regime, egal wohin sie kam, über das Geschehene wurde nicht gesprochen - sie puderte sich den Unterarm um ihre Tätowierung zu verbergen. Heute bezeichnet Frau Szepesi die Nummer als einen Teil von sich, sie möchte sie nicht entfernen lassen. Die Hoffnung darauf, dass ihre Mutter und ihr Bruder auf dem Weg zu ihr waren und sie nur auf sie warten musste, hielt sie all die Jahre am Leben.
Bereits 1954, erst neun Jahre nach ihrer Befreiung aus dem Vernichtungslager, zog Frau Szepesi mit ihrem Mann und ihrer ersten Tochter nach Deutschland, was sie eine große Überwindung kostete.
Die Holocaust-Überlebende brauchte viele Jahre, bis sie ihr Schweigen brach und ebenso lange, um an den Ort des Geschehens, Auschwitz, zurückkehren zu können. Trotzdem hat sie sich ihrer Vergangenheit gestellt und konnte 2016 erstmals mit der Erkenntnis des Todes der Familie nach 70 Jahren endlich um ihre Angehörigen trauern, weinen und sich verabschieden.
In einem mühseligen, emotionalen und doch so unverzichtbaren Prozess schrieb sie ihre Geschichte „Ein Mädchen allein auf der Flucht: Ungarn – Slowakei – Polen (1944-1945)“, damit auch die Kinder vieler weiterer Generationen an ihrem Schicksal teilhaben können, um zu verstehen, was mit jedem weiteren Jahr Abstand unverständlicher erscheint. Und doch stellt sich im Publikum die Frage, was man noch oder besonders heute als Jugendliche*r tun könne, wenn man Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit begegne: „Lasst keine Ausgrenzung zu. Schaut niemals weg.“
Carlotta Diederich, Q2